Die Anfänge der Arbeitsstelle Grimm-Briefwechsel an der Humboldt-Universität gehen bis in das Jahr 1986 zurück. Die damals an der dortigen Sektion Germanistik bestehende Grimm-Forschungsstelle plante eine Studienausgabe von Werken und Briefen der Brüder Grimm in Auswahl. Die Verkartung von Einzelbriefen, damals noch mit Regestenbeschreibungen, sollte als Fundus für die Briefauswahl dienen. Parallel zur Arbeit wurde eine Sammlung von Kopien nach Briefdrucken und Originalen angelegt. Die damals vorgesehene dreibändige Briefauswahl sollte die Texte der Briefe nach früheren Abdrucken wiederholen, von denen viele verstreut in Zeitschriften erschienen sind. Bei der Arbeit am Briefverzeichnis wurde jedoch deren oftmals mangelnde Textgenauigkeit deutlich, abgesehen davon, dass viele Briefe noch nie gedruckt worden waren. Der Fokus verschob sich auf die Handschriften der Briefe, die nun auch der Kritischen Ausgabe zugrundeliegen.
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Nachdem Elias Steinmeyer, Albert Leitzmann, Gunhild Ginschel und Ludwig Denecke ähnliche Arbeiten abbrachen, werden in den Datenbanken des Grimm-Briefverzeichnisses erstmals alle erreichbaren Briefe von und an Jacob und Wilhelm Grimm zusammengetragen. 1992 konnte zunächst eine Torso-Fassung des Briefverzeichnisses vorgelegt werden, in der etwa 11.000 Briefe verzeichnet waren. 1993—1998 wurden die Arbeiten durch eine von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Arbeitsgruppe fortgeführt, die den Datenbestand ungefähr verdoppeln konnte.
Die Namen der in der Korrespondentenübersicht enthaltenen etwa 2.100 Personen wurden mit deutschen und ausländischen Verzeichnissen schriftlicher Nachlässe auf Identität hin überprüft. Angaben über Nachlässe bezeugter oder vermuteter Korrespondenten der Brüder Grimm wurden zunächst verkartet und später in einer eigenen Datenbank erfasst. In die entstehende Autographensuchdatei wurden auch die Grimm-Einträge aus der Zentralen Autographenkartei der Staatsbibliothek zu Berlin aufgenommen. Aus der Anzahl der für einzelne Orte festgestellten Spuren ergaben sich Prioritäten für die Ermittlung der Briefe in den einzelnen Bibliotheken und Archiven, indem es sich im allgemeinen als erforderlich erwies, Orte mit mehr als zehn Notierungen aufzusuchen, um die Anhaltspunkte vor Ort zu überprüfen, während weniger zahlreiche Hinweise pro Standort sich auch durch Schriftwechsel überprüfen ließen.
Über das personenspezifische Bibliotheks- und Archivgut hinaus war die Aktenüberlieferung von Institutionen und Korporationen, mit denen die Brüder Grimm in Verbindung standen, ein weiteres ergiebiges Recherchegebiet. Es gelang, große Mengen von zum Teil bislang unbekannten Dokumenten, die freilich nur zum Teil Briefe sind, im Behördenschriftgut Hessens, des Königreichs Hannover und Preußens zu ermitteln. Allerdings gab es auf diesem Gebiet sowohl national als auch international weniger zentralisierte Findhilfsmittel, so dass die Gewinnung der erforderlichen Grundinformationen sich aufwendiger gestaltete.
Auf beiden Ebenen der Suche nach Originalbriefen, auf der Personen- wie auf der Sachebene, arbeitete das Grimm-Briefverzeichnis mit einem Zweischritt aus Kontaktrekonstruktion und Autographenlokalisierung. Der hohe Aufwand im ersten Schritt zahlte sich während des zweiten aus, indem der Anteil von Zufällen bei der Suche verringert worden war, unveröffentlichte Briefe gerade auch in nichtinventarisierten Nachlässen und Sachakten aufgefunden werden konnten und damit insgesamt höhere Vollständigkeit erreicht werden konnte.
Voraussetzung für die Verzeichnung der bisherigen Editionen war eine Umstellung von L. Deneckes Briefbibliographie nach den Titeln der Veröffentlichungen, um die Einzelwerke nicht bei der Bearbeitung verschiedener Briefpartner immer neu beschaffen zu müssen. In der Regel wurden zunächst die bibliographisch nachgewiesenen Werke und Beiträge erworben oder kopiert, in die Sammlung der Editionen aufgenommen und dann für das Briefverzeichnis ausgewertet. Die Sammlung der Editionen wird durch die Auswertung von Fachbibliographien, durch Auswertung der zu den Grimmschen Briefpartnern existierenden Sekundärliteratur und durch Hinweise von Bearbeitern neuerer Editionen weiter ergänzt. Insgesamt wurden bislang etwa 1.300 bibliographische Einheiten ausgewertet.
Für die Erschließung von Briefen, die nicht überliefert sind, waren die Schreibkalender und Tagebücher der Brüder Grimm besonders ergiebig. Die Vermerke der Brüder Grimm über abgesandte (gelegentlich auch über empfangene) Briefe wurden in einer gesonderten Datei erfasst. Als zweifelhaft erwies sich jedoch die Zuverlässigkeit der hier zu findenden Datumangaben, da bei Briefen, die überliefert sind und zu denen zusätzlich eine Briefausgangsnotiz in einem Kalender oder in einer Briefausgangsliste vorhanden ist, oftmals Divergenzen zwischen dem im Brief genannten Datum und dem Datum der kalendarischen Notiz bestehen. Offenbar handelt es sich bei den kalendarischen Ausgangsnotizen meist um Angaben der Tage, an denen die Briefe zur Post gegeben, nicht unbedingt aber derjenigen, an denen sie geschrieben wurden. Dieses Problem erschwert die Zusammenführung der Nachweise aus den Tagebüchern und Kalendern mit der Hauptdatei des Briefverzeichnisses.
Die gesammelten Nachweise über den Briefwechsel der Brüder Grimm stehen der Wissenschaft und der Öffentlichkeit als Datenbanken zur Verfügung, aus denen unter vielfältigen Aspekten Auszüge hergestellt werden können. Seit 2004 ist das Briefverzeichnis im Internet frei zugänglich, seit 2022 als Teil des Datenbanksystems unter grimmarchiv.de.
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